Der Saal war randvoll. Als ich auf der Bühne vor dem roten Vorhang rechts neben dem Rednerpult auf meinem Stuhl saß und mit halben Ohr den Ausführungen und Lobreden des Bürgermeisters folgte wanderte mein Blick durch die einzelnen Reihen auf der Suche nach meinen Freunden. Und tatsächlich sah ich die drei mitten unter den Zuschauern wie sie mir verheißungsvoll die gedrückten Daumen entgegen hielten. Ich wagte es sogar einmal ganz kurz zu winken, so mit zwei Fingern, ganz kurz über den Schoß bevor meine Hände wieder zu Fäusten geballt auf meinem Schoß zur Ruhe gezwungen wurden. Mir war abwechselnd heiß und kalt.
Und nach einer scheinbar endlos langen Rede verkündete der Bürgermeister mit stolzer Stimme "Und nun kommen wir zur Siegerehrung. Der dritte Platz geht an. ..."
Ich hielt die Luft an. Bitte lass mich wenigstens den dritten Platz gewonnen haben. Dann hätte sich die Fahrt hierher für mich auf jeden Fall gelohnt! Feierlich öffnete der Bürgermeister einen Umschlag. Machte eine große Kunstpause.
"Herr Meier! Herzlichen Glückwunsch!"
Der dicke Mitbewerber neben mir löste sich unter ätzenden Geräuschen von seinem Stuhl, nahm dankbar die entgegen gestreckte Hand und den Umschlag mit dem Preis für den dritten Platz entgegen. Ein Gutschein für zwei Personen im hiesigen Restaurant. Wie passend.
Die Menge applaudierte, als wenn gerade der ersten Preis vergeben worden wäre. Und ich zitterte am ganzen Körper. Wenn nicht der dritte Platz, dann vielleicht doch der zweite? Durfte ich es hoffen?
Mit einem Pausbackenlächeln nahm der Bürgermeister den zweiten Umschlag entgegen. Irgendwer im Hintergrund machte einen Scherz woraufhin er in der Aktion anhielt und kurz lachte. Macht es doch nicht so spannend! Mit meinen Fingernägeln bohrte ich bereits Löcher in meine Handfläche.
"Der zweite Preis geht an ..." Kunstpause. Unerträglich. "Frau Knigge."
Eine Frau mit langen weißen Haaren schien vom Stuhl zu schweben und sah mit einem freundlichen Lächeln in die Runde und nahm dankbar den Preis entgegen.
Aus unserer Reihe vernahm ich die andere Frau, die sich selbstsicher in ihrem Stuhl hin und her rutschte und selbstzufrieden in die Runde schaute. Sie war der festen Überzeugung, dass sie gewonnen hatte.
"Kommen wir nun zu unserem absoluten Sieger. Jemand der es verdient hat die Sputendorfer-Trophäe mit Stolz und Ehre zu empfangen. Mal schauen, wer der Sieger ... oder die Siegerin ist."
Es war auf einmal so still im Raum. Nur das Rascheln des Briefes mit dem Sieger konnte man hören.
"Und die Siegerin ist ..." ich sah die Dame vom Stuhl aufstehen. "Sarah Hennington!"
Ich bemerkte, wie meine Freunde aufsprangen und sich jubelnd in die Arme fielen.
Ich bemerkte, wie die Frau sich wieder auf den Stuhl plumpsen ließ.
Ich bemerkte, dass alle Augen auf mich gerichtet waren.
Und alle im Raum applaudierten.
Ich hatte es geschafft! Ich hatte es tatsächlich geschafft!
Mit wackeligen Beinen stand ich auf. Die anderen Schriftsteller begannen mich freundschaftlich zu umarmen oder mir anerkennend auf die Schulter zu klopfen. Der Bürgermeister streckte mir die Hand entgegen und gratulierte mir. Ich zitterte am ganzen Körper, wusste nichts zu sagen. Konnte nur zurück nicken.
Und dann kam die junge Dame von vorhin mit der Trophäe in der Hand auf mich zu, drückte dem Bürgermeister die goldene Feder in die Hand. Und dieser schließlich das gute Stück in meine Hände.
Ich war einfach nur erschrocken. Fasziniert. Glücklich. Stolz. Alles gleichzeitig und durcheinander. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Der erste riesige Schritt.Ich konnte tatsächlich schreiben. Und es gab Leute, die es gut fanden und die es zu schätzen wussten.
"Hazel! Hazel! Hazel!" riefen meine Freunde im Chor und Mike pfiff immer wieder laut dazwischen und steckten damit alle im Ratssaal an. Es wurde geklatscht und gejubelt. Und ich war den Tränen nahe.
Schließlich beruhigte der Bürgermeister mit einer besänftigenden Geste die Menge und verkündete, dass ich nun die Siegergeschichte vorlesen würde.
Die junge Dame legte mir einen Computerauszug auf das Rednerpult und schob mich sanft davor. Vor lauter Aufregung hatte ich sogar meine Nervosität vor dem Vorlesen vergessen.
"Ich ... ich weiß gar nicht was ich sagen soll." stammelte ich unprofessionell in das Mikrophon. "Ich bin im Moment einfach nur glücklich. Vielen Dank an alle, die sich für meine Geschichte entschieden haben. Und danke an alle meine Freunde, die an mich geglaubt haben und dort hinten so lauthals jubeln."
"Hazel du bist die Größte!" kreischte Eve wie eine aufgebrachte pubertierende 14-jährige. Pierre wischte sich theatralisch mit einem Taschentuch die Augenwinkel trocken.
Der Bürgermeister trat an das Pult heran und sprach in das Mikro. "Ja ich sehe schon: so jung und doch schon so einen großen Fankreis, das kann nicht jeder von sich behaupten. Aber Sie haben es sich verdient, denn ich kann nur bestätigen was die Jury entschieden hat: Ihre Geschichte war mit Abstand die beste und Sie haben es sich verdient Frau Hennington. Und nun lassen Sie auch all die anderen an Ihren wunderbaren Geschichten teilhaben."
Ich grinste über beide Ohren und merkte wie ich rot wie eine Tomate anlief. Nervös schlug ich das Script vor mir auf. Ja ich wollte meine Geschichten erzählen. Ich wollte, dass sie jeder hört und hier hatte ich nun meine Chance. Ich hatte mich bewiesen.
Und so fing ich an:
"Es gibt im Prinzip nur zwei Arten von Menschen: die, die es zu etwas bringen und jene , die sich den Erfolg anderer unverdient zu eigen machen. ..."
Ich stockte. Und schwieg. Mein Lächeln verschwand. Ich blickte auf diese ersten Zeilen, überflog die nachfolgenden Absätze und konnte nicht mehr weiter sprechen. Vor mir hörte ich Pierre leise rufen "Hazel?"
Der Bürgermeister witzelte über meine Nervosität und ermunterte mich weiter zu machen.
"Ich kann leider nicht." flüsterte ich. Ich spürte die Blicke aller auf mir. In mir stürzte alles zusammen.
"Natürlich können Sie. Sie müssen sich nur zusammen reißen aber wenn es gar nicht geht kann ich auch vorlesen."
"Nein Herr Bürgermeister das wäre nicht richtig." murmelte ich. Mit zitternder Stimme sprach ich in das Mikro.
"Denn das hier ist nicht meine Geschichte."
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