Als ich am nächsten Morgen aufwachte wusste ich zunächst nicht wo ich war. War total orientierungslos. Nachdem mir aber wieder bewusst wurde, wo ich war und warum ging direkt das Herzklopfen los. Die Verleihung! Ich sah auf die Hoteluhr am Kopfende des Bettes. Noch vier Stunden. Ich musste mich vorbereiten.
Beherzt sprang ich aus dem Bett, schnappte mir aus meiner Sporttasche meine Badutensilien und duschte in aller Eile. Als ich aus dem Bad kam klopfte es an meiner Zimmertür. Es war Eve, die mich zum Frühstück abholen wollte. Im Gastronomiebereich des Hotels angekommen warteten schon Pierre und Mike auf uns. Beide schlugen sich die Bäuche voll am freien Büffet mit Brötchen, Wurst und Spiegelei. Eve besorgte sich ein gesundes Müsli und ich nippte an einem Pfefferminztee. Ich war viel zu aufgeregt um etwas zu essen. Mein Magen machte das in Stressitutationen nie mit. Und im Moment befand ich mich unter 1.000 Volt. Vielleicht sogar mehr! Pierre, mein Weggefährte seit Kindheitstagen, sah mich nur von der Seite an, rollte mit den Augen, nahm ein Brötchen und schmierte ein Leberwurstbrot, das er dezent in einer kleinen Plastiktüte verschwinden ließ. Er war ja so rührend.
Nach dem kurzen Frühstück lief ich schnell mit Eve auf mein Zimmer um mich vorzubereiten. Und hier ereilte mich wieder einmal eine typische Frauen-Krise: ich fand plötzlich das, was ich zum anziehen dabei hatte nicht mehr passend. Zuhause hatten Eve und ich lange überlegt, womit ich meinen kleinen zierlichen Körper zieren könnte. Was zum Teufel zieht man denn als Schriftsteller auf einer Verleihung eines Preises in einem Kaff wie Sputendorf überhaupt an? Auf der einen Seite wollte ich nicht aussehen wie ein Spießer bei einem Vorstellungsgespräch im Maritim Hotel. Auf der anderen Seite könnte zu bunt auch wieder zu abgedreht aussehen. Allerdings war ich doch Schriftstellerin. Und Schriftsteller sind doch als exzentrische Individuen verschrien. Die müssen in kein Schema passen.
Ach menno.
Plötzlich fand ich mich in meiner schwarzen Strumpfhose, dem dunkel-lila Rock und dem schwarzen Polo-Shirt unwohl. Doch Eve machte mir Mut. "Du wirst super aussehen, Hazel. Mit ein wenig Schminke wirst du dich gleich viel besser fühlen." Und so gab ich mich in die Hände meiner Freundin und siehe da: ich fühlte mich tatsächlich besser.
Eve verabschiedete sich schließlich. Sie musste sich ja selbst noch fertig machen, ich allerdings musste schon zur "Probe" ins Rathaus, wo die Verleihung statt finden würde. Pierre begleitete mich bis vor die Tür. Dann drückte er mich noch mal herzlich und wünschte mir alles Gute. "Wir sehen uns dann im Ratssaal. Und du packst das! Glaub an dich!"
So bestärkt verschwand ich durch die Tür, das Herz bis zu den Schläffen pochend.
Vor dem Ratssaal traf ich auf andere potentielle Sieger. Ich zählte mit mir insgesamt fünf Personen. Also schienen alle Teilnehmer anwesend zu sein. Was mir direkt auffiel: ich war die absolut jüngste. Und das bei weitem. Die anderen Personen, zwei Männer und zwei Frauen, schienen irgendetwas um die sechszig zu sein. Und je länger ich mir die Gesichter ansah desto sicherer war ich mir, dass ich diese Personen schon auf irgendwelchen Buchrücken gesehen hatte. Professionelle Kurzgeschichtenschreiber und Kinderbuchschriftsteller. Na super. Meine Zuversicht sank direkt vier Etagen tiefer. Es schien mir absolut unfassbar, dass ich kleiner Möchtegern-Schriftsteller überhaupt irgendetwas hier gewinnen könnte. Niemand konnte ernsthaft glauben, dass ich zwischen all den Alteingesessenen Schriftstellern überhaupt bestehen könnte. Dann fielen mir wieder meine Freunde ein, die auf mich zählten und mir immer wieder gesagt hatten, dass dabei sein auch schon super wäre. Ich war an dieser Stelle viel weiter als sonst irgendwann anders in meinem Leben als angehende Schriftstellerin. Das ich hier zwischen all den Leuten dabei sein durfte sollte mich eigentlich mit Stolz erfüllen. Den Rücken gerade stellend beschloß ich mit einem Grinsen meine Niederlage einzugestehen. Immerhin war ich mir sicher würde ich zumindest einen Gutschein oder so etwas in der Art bekommen. Ein Teilnahmezertifikat oder so. Das würde ich mir schön über mein Bett hängen.
Plötzlich trat eine junge Frau aus einer der Nebentüren hervor und bat alle Anwesenden in das Zimmer zu treten. Hier standen einige Stühle in zwei Reihen. Es schien eine Art Besprechungsraum zu sein. Nachdem sich die Dame mit einem russisch klingenden Akzent vorgestellt hatte erläuterte sie kurz das Prozedere, wie die Veranstaltung ablaufen würde. Ich war so aufgeregt, dass ich die Hälfte direkt wieder vergaß. Denn direkt vor unserer Nase, nur einige Meter von mir entfernt auf einem kleinen Glastisch stand eine Trophäe in Form einer goldenen Feder. Der Preis für den Sieger. Wie geil wäre das denn, wenn ich den doch in die Hand nehmen und meinen Freunden und Verwandten vorführen könnte.
Plötzlich riß mich die Dame aus meinen Gedanken. Gerade hatte sie verkündet, dass der Sieger nach der Übergabe der Trophäe am Rednerpult das eigene Werk dem Publikum vorlesen würde.
Jetzt wurde mir wieder schlecht. Reden vor Publikum? Das konnte ich ja mal so gar nicht. Dafür war ich doch viel zu schüchtern. Ich würde im Boden versinken. Zum Glück würde der Preis einer von den alten Herren hier abräumen. Obwohl ich den Preis schon gern gehabt hätte.
Man ging mir dieses Auf und Ab der Gefühle auf den Keks. Ich würde wahrscheinlich gleich in meinem Stuhl in Ohnmacht fallen.
"So meine werten Damen und Herren." verkündete die junge Dame. "Dann wollen wir mal. Das Publikum wartet. Möge der Bessere gewinnen."
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