"Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!" gröllte Eve gegen den Verkehrslärm der A9 an. Pierre und Mike verarzteten unsere gelbe Ente. Ducky. Das arme Ding hatte bei dem Dauerbleifuß von Mike irgendwo das vordere linke Rädchen verloren. Und ich rannte mit der orangenen Sicherheitsweste hinter der Leitplanke hin und her und fühlte mich wie ein Heinzelmännchen. Warum auch immer. Ein Heinzelmännchen das nervös Kreise in den kargen Grünstreifen lief.
"Man Eve. Sputendorf!" maulte Pierre. "Sputendorf, nicht Berlin. Und solange wir das hier nicht hin kriegen fahren wir nirgendwo hin."
"Ach den Namen kann ich mir eh nicht merken." Eve strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Das komische Kaff kennt eh keiner und besonders motivierend darauf singen kann man auch nicht. Nene ich bleib bei Berlin. Ist ja da in der Nähe. Und außerdem..." sie fing mich in meinem Kreiselwahn ab "Außerdem werden wir schon nach .. dings ... kommen. Schließlich ist das Hazels großer Durchbruch als Schriftstellerin! Sie ist berühmt! Und wir werden dabei sein!"
"Na ja" dämpfe ich Eves Entusiasmus "Eigentlich bin ich eingeladen, an der Siegerehrung zu Sputendorfs Federpreis teilzunehmen als eine der fünf Finalisten. Ich weiß doch noch gar nicht, ob ich tatsächlich gewonnen habe."
Mein Blick fiel traurig auf die kleine Ente. "Und dass Ducky nach so vielen Jahren ausgerechnet bei unserer Fahrt zu meinem Debüt so rummuckt macht mich schon irgendwie nachdenklich."
"Ach quatsch. Ducky freut sich genauso wie wir, glaub mir." Zärtlich legte Eve die Hand auf die Karrosse. "Sie war nur etwas übermütig das ist alles. Und natürlich hast du gewonnen! Denk doch nicht daran, dass es nicht so sein könnte. Das bringt Unglück."
"Ach das wird schon Hazel." bestätigte auch Mike, der gerade mit pechschwarzen Händen den Ersatzreifen anbrachte. Und über den Rücken meinte Mike zu Eve: "Und das deine Mutter uns den Wagen überlassen hat ist cool. Ich bin noch nie Ente gefahren."
"Wer sagt denn, dass meine Mutter uns die Ente überlassen hat?"
Alle blickten Eve an. Dann blickten Pierre, Mike und ich uns an. Schließlich begann ich noch nervöser Kreise zu drehen. Hoffentlich hatten wir jetzt nicht Ducky auf dem Gewissen und hoffentlich konnten wir Ducky heile Eves Mutter zurück bringen. Ducky war Eves Mum's absolutes Heiligtum!
Und hoffentlich würden wir es noch rechtzeitig nach Sputendorf schaffen.
Warum konnte nicht einfach einmal irgendwas in meinem Leben einfach nur funktionieren? Wieso geriet ich immer in Schwierigkeiten? Ich betrachtete den Himmel. Es begann schon leicht zu dämmern. Am nächsten Morgen würde die Verleihung sein. Und wir hatten noch mindestens fünf Stunden Fahrt vor uns. Mit Ducky wohl eher sieben.
Würden wir es noch rechtzeitig zu der Verleihung schaffen?
Erstaunlicher Weise schafften wir es tatsächlich. Ducky muckte nicht mehr um, nachdem Mike und Pierre den Reifen gewechselt hatten und Eve mit "Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!" unsere Weiterfahrt musikalisch begleitete.
Irgendwann (es war bereits mitten in der Nacht und Eve sabberte mir auf der Rücksitzbank auf meine Schulter) leuchtete irgendwo aus der Schwärze heraus ein gelbes Ortsschild auf und hieß uns mit einem Herzlichen "Willkommen" in Sputendorf ... nun ja eben willkommen. Sputendorf selbst bestand scheinbar aus einer einzigen Hauptstraße, einem Rathaus und einem Tagungshotel. Und das Hotel war das Ziel. Nachdem wir den bereits schlafenden Hotelangestellten hinter dem Tresen wachgeklingelt und Eve mit bezaubernden Augenaufschlag unsere Zimmer klar gemacht hatte ließ ich mich erschöpft und erleichtert auf das Bett fallen. Meine Freunde hatten sich eigene Zimmer bestellt, da für mich als Finalistin und Teilnehmerin des Schreibwettbewerbs bereits ein Zimmer in diesem Hotel reserviert war. Da aber die Gäste in diesem Hotel eher rar waren hatten alle drei ein eigenes Zimmer mit Doppelbett erhalten. Also reichlich Platz zum ausschlafen.
Und obwohl ich wusste, dass ich für die Verleihung am nächsten Tag fit sein musste starrte ich, eingemummelt in meine Bettdecke und auf einer quietschenden Matratze liegend, Löcher in die Decke. Ich hatte es geschafft! Ich war tatsächlich hier. Und wenn alles gut gehen würde, könnte dieser Wettbewerb das Sprungbrett zu meiner schriftstellerischen Karriere sein. Man war ich aufgeregt. Was jedoch, wenn ich nicht gewinnen würde? Meine Freunde rechneten fest damit, dass ich gewinnen würde. Sie wären sehr enttäuscht.
Aber so nah, wie an diesem Abend war ich noch nie an einem Preis gewesen. Das musste einfach ein gutes Zeichen sein.
Ich würde auf jeden Fall gewinnen.
Oder doch nicht?
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