Hazel Eyes – Das Leben der Sarah Hennington

written an copyright by Nema Ravenhost


Sarah Hennington hat einen großen Traum: sie möchte Autorin eines Bestsellers werden. In ihrem Online-Tagebuch erzählt sie vom täglichen Wahnsinn in Ihrer vierköpfigen WG, dem chaotischen Studentenleben und dem steinigen Weg, den eigenen Zielen treu zu bleiben.




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Freitag, 3. Juni 2011

4. Folge: Selbsterfüllende Prophezeiungen

Halli hallo hallöle,

es gibt Tage, da sollte man gar nicht erst aufstehen. Man wacht auf und weiß einfach: irgendwas liegt in der Luft. Und es ist nichts Gutes. Und alle Fasern deines Körpers scheinen dich anzuschreien: "Bleib liegen!" aber du hörst einfach nicht darauf. Du hast Verpflichtungen, die müssen erledigt werden. Du bist schließlich erwachsen und kannst nicht mehr rumjammern und darum betteln, heute mal nicht in die Schule zu müssen. "Eigenverantwortung" nennt sich das. Und die Negativität des Tages und den damit verbundenen Ereignisse entstehen nur durch "selbsterfüllende Prophezeiungen", so mein früherer Philosophielehrer.
Wenn dem tatsächlich so ist, bin ich eine Meisterin in selbsterfüllenden Prophezeiungen. Denn kaum war ich wider meines Wissens und Gewissens aufgestanden, stieß ich mir im halbdunkel erst einmal den kleinen Zeh an der Bettkante an. Mein daraufhin folgender Aufschrei weckte Pierre, der aufgeschreckt mit weitem Schwung die Zimmertür öffnete, dabei meinen schiefen Turm von Bookhausen umwarf, der widerrum gegen den Schreibtisch donnerte, meinen vor zehn Tagen abgestellten Kaffee umkippte und zum krönenden Abschluss die braune inzwischen etwas zähflüssigere Masse (ich trinke meinen Kaffee mit wie man mir sagte unnatürlich viel Zucker) in einem weiten Bogen quer über meine aktuelle Hausarbeit verteilte. Und wie sollte es anders sein: heute war Abgabetag.

Obwohl Pierre und ich direkt Erste Hilfe leisteten war die Arbeit hoffnungslos ruiniert. So konnte ich die Arbeit garantiert nicht abgeben. Ich war total hysterisch. Heute musste die Hausarbeit abgegeben werden, ansonsten erhielt ich keine Berechtigung die in einigen Wochen folgende Klausur schreiben zu dürfen. In diesem Augenblick schlurfte Mike an meinem Zimmer vorbei. Frisch geduscht und mit lässig um die Hüfte gebundenen Handtuch. Mit gelben Quietscheenten drauf. Die Haare noch leicht feucht. Der durchtrainierte Oberkörper mit Sixpack glänzend. War wohl mit Creme eingeschmiert. Geil, dachte ich.
Da meldete sich Spießer-Hazel im Hinterkopf: kein Sex mit dem WG-Genossen!
Ach scheiße!
Einen kurzen Augenblick hatte ich mein Dilema in dem ich mich befand, vergessen. Dann meinte Mike "Wer von euch möchte Kaffee?" und ich ging wieder in meine fluchende Phase über. Pierre meinte daraufhin, dass ich das doch mit dem PC geschrieben hätte, ich solle es einfach nochmal ausdrucken.
Ich fasse kurz zusammen, was danach passiert ist:
- mein Notebook meldete beim hochfahren, dass er nur noch für eine Minute Strom hätte.
- Hazel sucht Ladenkabel. Ladekabel nicht in Hazel's Zimmer. Wo ist das verdammte Kabel?
- Ladekabel unter Eves Bett im Nebenzimmer gefunden. Gedanklicher Vermerk: mit Eve sprechen und Ladekabel-Verbot aussprechen.
- Hausarbeit ausgedruckt. Aber unvollständig da Druckerpatrone leer. Ersatzpatrone von Pierre bekommen.
- Hausarbeit ausgedruckt. Papierstau.
- Hausarbeit zum dritten Mal ausgedruckt. Endlich vollständig.
- Blick auf die Uhr: spät dran.
- Mikes Fahrrad geschnappt (ich hasse Fahrradfahren) und zur Uni gesprintet.
- In den Hörsaal gehechtet.
Tja und dort stand ich dann mehr oder minder alleine. Denn wie sich herausstellte, war die Vorlesung auf nächste Woche verschoben worden. Also vollkommen umsonst abgehetzt.

Aber natürlich war damit der Tag noch nicht gänzlich überstanden. Um mir mein Studium zu finanzieren habe ich einen Job: drei- bis viemal die Woche gehe ich in einem kleinen Cafe nahe meiner Wohnung kellnern. Oftmals acht bis zehn Stunden am Stück. Die Menschen geben gutes Trinkgeld. Normalerweise. Heute war so gut wie nichts los. Wenn man mal von dem Augenblick absieht, wo ich dem nahezu einzigen Besucher des heutigen Abends den Kaffee über den Schoß gekippt hatte. Es lag schlichtweg ein Fluch auf dieser braunen Flüssigkeit.

Aber ich habe noch einen zweiten"Job". Eigentlich ist es gar kein richtiger Job, sondern mehr der Versuch, endlich etwas sinnvolles als Schriftstellerin auf die Beine zu stellen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mindestens einmal im Monat Geschichten an diverse Schreibwettbewerbe zu senden. Oftmals sind diese Wettbewerbe mit Geldpreisen versehen, die ich gerne abräumen würde. Bisher ohne großen nennenswerten Erfolg. Nichts wovon man auf Dauer leben kann. Aber alles was bei mir an Bares eingeht wird brav zur Seite gelegt, um später meinen Studienkredit abbezahlen zu können. Und das, was nicht als Geld bei mir eintrudelt wird eben zu Geld gemacht. Ich mache mir keine Illusion drüber, dass das Leben einer Schriftstellerin einfach ist. Schauen wir uns doch mal Joanne K. Rowling an. Ihr wisst schon: die mit den Harry Potter Büchern. Als sie die Harry Potter Bänder vorlegte war sie laut diversen Interviews und Dokumentationen sowas wie eine Hartz IV-Empfängerin in England. Hatte nicht mal Geld um sich regelmäßig was zu essen besorgen zu können. Und jetzt: BAM! Jetzt zählt sie weltweit zur ersten Schriftstellerin, die eine Milliarde US-Dollar verdient haben soll. Wenn dem so ist, hätte sie mehr Kohle als Stephen King! Und mir gibt es Zuversicht! Wenn die das kann, kann ich es auch schaffen!

Vorausgesetzt, man leidet nicht unter Hirnverstopfung. So wie ich momentan. Womit wir wieder zurück kommen zu meinem eigentlichen Thema: den selbsterfüllenden Prophezeiungen. Denn heute musste ich unbedingt für eines dieser Wettbewerbe mein Script versenden. Der Geldpreis von 3.500,- EUR war mehr als verlockend. Problem: ich fand meinen verdammten Memory-Stick nicht mehr! Dieser Memory-Stick ist mein ein und alles. Auf ihm sind sämtliche Werke von mir abgespeichert. Ich war mir einhundert-prozentig sicher, dass ich ihn heute morgen noch neben dem Kaffee-Desaster gesehen hatte. Jetzt ist er verschwunden. Die ganze WG habe ich auf den Kopf gestellt und ich fand nichts. Auch mein Versuch, die bereits geschriebene und in Gedanken abgespeicherte Story einfach nochmal aufzuschreiben gelang mir nicht. Es klang defintiv nicht so, wie ich es tatsächlich fertig niedergeschrieben hatte. Ich war frustriert.
Und was tun Studenten wenn sie frustriert sind?
Einen ballern.
Keine Ahnung ob, dies auf jeden Studenten zuftrifft. In unserer WG ist es jedenfalls Brauch. Deshalb steht auch immer mindestens eine Flasche Wodka und/oder ein Magenschnaps wie Kümmerling im Eisfach. Und heute lachte mich Herr Smirnoff ganz besonders toll an. Prosit.
Ich war stinkwütend auf mich. Brodelte innerlich. Ich fühlte wie sich meine innere Wut in Hitze verwandelte und glaubte, dass der Kunstlederbezug unserer IKEA-Couch durchschmelzen würde. Warum war ich heute nur aufgestanden? Wieso konnte ich nicht einmal auf mein inneres Ich hören?
"Hazel-Schätzchen. Was ist los mit dir?"
Das war Mike, der plötzlich neben mir stand. Ausnahmsweise mal angezogen. Ich war überrascht. Besonders, weil er einen schwarzen Anzug von Armani trug. Woher hatte der Kerl die Kohle?
"Hi Mike. Was soll schon los sein? Alles ok!" log ich. Mike erwiderte meine  Lüge mit dem perfektesten Perlweiss-Lächeln, das ich je gesehen hatten. In mir kribbelte es augenblicklich. Wie machte der Kerl das nur, dass der wohl unhygienischste Ort des menschlichen Körpers so verdammt attraktiv aussah (habt ihr schon mitbekommen, dass ich mir unnötiges Wisssen irgendwie super merken kann? Jaja ich weiß: ich schau zuviel TV!)?
Spießer-Sarah: Nei-hein!
Hazel: Ja ja ich hab's verstanden!
"Was murmelst du vor dich hin?"
"Ach überhaupt nichts! Ehrlich gesagt, geht es mir wirklich nicht gut. Alles was ich heute anpacke geht schief. Hast ja das Desaster heute morgen mit bekommen." Und ich erzählte ihm alles haarklein. Mike hatte sich neben mich auf die Couch gesetzt und mir zugehört. Zwischendurch sogar den Wodka nachgeschüttet. Als ich geendet hatte, fühlte ich mich elend. Zuviel Wodka, im Bauch grummelte es gefährlich. Das änderte sich schlagartig, als er seine Hand an mein Kinn legte und meinen Blick auf den seinen richete.
Oh mein Gott! Er würde doch nicht...?!
"Hazel! Mach dich doch nicht selbst fertig! Was passiert ist ist passiert! Du kannst es nicht ändern!"
Sein Gesicht kam näher an meins heran. Mein Herz klopfte ganz laut.
Oh mein Gott! Oh mein Gott!!
"Weißt du ich glaube du bist eine großartige Schriftstellerin. Ich bewundere dich sehr."
Spießer-Sarah schrie: STOPP ES!
Hazel schrie:AUF KEINEN FALL!
Wollte er mich tatsächlich küssen?
Wollte ich es?
Konnte ich es?
Mit einem Mal nahm er die Hand von meinem Kinn und grinste mich frech an.
"Und weil ich schon geahnt habe, dass du heute nichts auf die Reihe kriegen würdest habe ich dir das hier mitgebracht!"
Und triumphierend hielt er mir den Memory-Stick unter die Nase.
"Öhm .. ja öhm .. hö .. danke." stammelte ich. "Dann äh... kann ich ja das Script heute noch abschicken!" Er warf mir den Memory-Stick auf den Bauch.
"Brauchst du nicht! Hab ich für dich schon erledigt! Drei Exemplare ab nach Berlin, genau so, wie es in deiner To-Do Liste auf deinem Schreibtisch steht. Ist mir heute morgen aufgefallen, als ich an deinem Zimmer vorbei ging. Auch die Deadline, die du dir mit rot gesetzt hattest."
Er zwinkerte schelmisch mit dem rechten Auge. "Mike der Lebensretter. Du kannst mir später danken. Ich muss jetzt zur Party Uptown. Die Zwillinge Anna und Lisa erwarten mich bestimmt schon. Es könnte später werden!"
Und mit diesen Worten war er durch die Tür verschwunden. Und ließ das Mädchen mit den haselnussbraunen Augen verwirrt zurück. ...

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