Hazel Eyes – Das Leben der Sarah Hennington

written an copyright by Nema Ravenhost


Sarah Hennington hat einen großen Traum: sie möchte Autorin eines Bestsellers werden. In ihrem Online-Tagebuch erzählt sie vom täglichen Wahnsinn in Ihrer vierköpfigen WG, dem chaotischen Studentenleben und dem steinigen Weg, den eigenen Zielen treu zu bleiben.




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Freitag, 13. Mai 2011

3. Folge: Shopping mit Pierre

Hi boys and girls out there!

Laut einer Internet-Darstellung neigen Frauen dazu, Orgasmen vorzutäuschen. Bei der Befragung unter ca. 1.000 Personen gaben unter den Männern rund 19 % an, Orgasmen vorzutäuschen, die Frauenquote lag dagegen bei 70 % ! Wer es nachlesen möchte:http://www.untreue.at/statistik-vorgetaeuschter-orgasmus.htm. Aber ich behaupte es gibt eine Sache auf der Welt, bei der jede Frau anfängt laut aufzustöhnen. Werte Männer da draußen: wenn ihr gerade eine Frau neben euch sitzen habt, wendet den Kopf ganz leicht zur Seite, schaut die Lady an und fragt nur ein einziges Wort:

"Shoppen?"

Ich wette mit euch: wenn tatsächlich gerade eine Frau neben euch gesessen hat und nicht etwa die Gummipuppe Lisa oder Staubsauger Nicki, dann gab es einen Aufschrei. Vielleicht ist die eine oder andere Frau schon allein beim ersten Wortlaut "shop-" bereits aufgesprungen und hat den Motor des Wagens anspringen lassen. Aber im absoluten Härtefall hat diese Frau neben euch zumindest die Augenbraue gehoben, oder ein Lächeln hat die Lippen umspielt.

Auch ich liebe shoppen! Und nichts ist besser als mit meinem besten Freund Pierre die Einkaufspassagen unsicher zu machen. Pierre und ich kennen uns schon seit den Sandkastenzeiten. Wir waren gemeinsam in der Grundschule, gingen zusammen auf's Gymnasium, rauchten zusammen unsere erste Zigarette. Und ich bin mir sicher wir hätten auch aus Solidarität das erste Mal miteinander geschlafen um nachfolgenden Liebschaften nicht allzu unerfahren gegenüber zu treten, wenn ...
... tja wenn Pierre nicht schwul wäre. Irgendwo zwischen Sailor Moon und Bravo-Zeitschriften kam das Coming-Out. Ich hatte es schon länger geahnt als er. Denn welcher Junge setzt sich freiwillig mit einem Mädchen im frühen Pubertätsalter Mittags auf das Bett und schaut gemeinsam Doku-Soaps wie "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" und "Verbotene Liebe", um sich danach über das unmögliche Outfit der Hauptdarstellerin den Mund zu zerreissen?! Aber Pierre machte keine halben Sachen. Sobald ihm klar war, dass er tatsächlich auf Männer stand und es sich nicht etwa um eine bloße "Schwanz-Vergleich-Phase" handelte, outete er sich direkt bei seinen Eltern. Ich stand damals dabei, denn er hatte absoluten Schiss davor, wie sie reagieren würden.
Es war eine Katastrophe. Ich erinnere mich noch genau wie die Mutter zusammen brach und der Vater ihn wüst beschmimpfte, ja es flogen sogar Teller und Tassen und die ersten zwei Tage war Pierre dann bei mir einquartiert (meine Eltern hatten kein Problem mit Pierres Coming-Out, aber vielleicht reagieren Eltern halt anders als Außenstehende).
Man sollte meinen, Pierres Eltern hätten sich an den Gedanken nach einiger Zeit gewöhnt. Sagen wir mal so: sobald Pierre sechzehn war befanden seine Eltern, dass er alt genug sei, um auszuziehen. Ans andere Ende der Stadt. Sie bezahlten ihm die ersten zwei Jahre die Wohnung, danach musste er selber zusehen wie er zurecht kam. Mehr als Postkarten zu Weihnachten und Geburtstage tauschen sie heute nicht mehr aus.
Pierre jobbte neben der Schule, um sich sein zukünftiges Studium zu finanzieren. Er studiert nun Betriebswirtschaftslehre und Modedesign an meiner Universität (er möchte ein eigenes Modelabel aufmachen speziell für Schwule und Lesben). Da wir seit unserer Sandkastenzeit immer zusammen waren stand auch bei der Universitätsentscheidung fest: nach Möglichkeit zusammen. Und tatsächlich schafften wir es. Wir gründeten gemeinsam eine WG und holten uns Eve und Mike ins Boot. Zuerst hatte ich gedacht, dass besonders Mike vielleicht ein Problem damit haben könnte, mit einem schwulen WG-Genossen zusammen zu leben. Aber Mike hatte damals nur gelacht und gemeint: "Wieso? Er ist doch auch nur ein Mensch. Und sollte er tatsächlich einmal mit lüsternen Gedanken vor mir stehen, dann kann man immer noch über alles reden. " und bei diesen Worten hatter er Pierre und mir zugezwinkert. Und wir beide haben uns schon mehr als einmal gefragt, ob dieser Mike nicht nur ein Frauenschwarm, sondern vielleicht ein Bi-Sexueller sein könnte? Selbst Pierre ist sich da nicht so sicher. Stört ihn aber auch nicht, denn Mike entspricht vollkommen Pierres üblicher Jagdbeute. ...

Zurück zum Shoppen! Ich liebe shoppen. Und shoppen mit Pierre ist klasse. Nicht nur, dass er ein ungewöhnlich gutes Auge dafür hat was MIR steht. Er hat auch wahnsinnigen Spaß daran, die armen Verkäuferinnen zu verarschen und zu verunsichern. Oder als ebensolche aufzutreten. Heute z. B. standen wir vor so einem Schicki-Micki-Laden, den sich keiner von uns beiden leisten kann. Ich bin der Meinung: was man sich nicht leisten kann sollte man sich auch nicht ansehen, um den Wunsch danach nicht noch zu vergößern. Pierre dagegen ist der Ansicht: zieh es an. Nimm es mit. Wozu gibt es den Dispo-Kredit? Jedenfalls sind wir da rein und da war dieses umwerfend gute Kleid. Schwarz. Pierre meint mir stehen die Herbstfarben, aber wenn ich die Wahl habe zwischen schwarz und braun wähle ich  prinzipiell immer schwarz. Ich bin halt ein Langweiler und Spießer.

Ich war also in der Umkleidekabine und zwängte mich in dieses traumhafte Kleid (der Schock mit dem Schwangerschaftsbauch lag mir noch immer in den Knochen), als ich eine junge Frau draußen fragen hörte "Junge Dame, was meinen Sie zu diesem Kleid? Steht es mir?". Vorsichtig zog ich den Vorhang meiner Kabine zur Seite. Pierre stand draußen und hielt zwei Alternativkleider von mir im Arm und betrachtete eine junge blonde Frau, die sich im Spiegel hin und her drehte. Neben Pierre stand die Verkäuferin. Die Verkäuferin nickte und schien seelig zu sein. "Das passt ja ausgezeichnet! Das Kleid ist wie für Sie gemacht."
"Also meine Liebe," begann Pierre. "ich weiß ja nicht ob sie Kontaktlinsen tragen aber ich hoffe es ist so. Denn das was sie da gerade der jungen Dame erzählen ist absoluter Bullshit!"
Der Verkäuferin fiel die Kinnlade runter. Das Blondchen sah Pierre entgeistert an. "Wie kommen Sie darauf dies zu beurteilen? Sie haben doch keine Ahnung! Und ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt!"
Pierre legte meine Alternativkleider auf einen Stuhl neben sich und trat an die junge Frau heran. Ruckartig nahm er ihren Arm und hebte diesen nach oben. "Also wenn Sie sich allein anschauen, wieviel Fett sich hier zwischen dem Kleid und den Armen abhebt ist es schon ein Drama. Hinzu kommt, dass man, sobald Sie sich bewegen, sämtliche Schamhaare aus Ihrem Omaschlüpfer sehen kann. Perverse könnten es mögen. Für Leute wie mich ist das Vergewaltigung der Augen. Sorry Girl- aber das ist mehr als abtörnend. Dann wäre da noch die Farbe..." er zeigte mit der Hand einmal das Kleid auf und ab. "Ich meine Bauabreiter-Orange ... wollen Sie als Pylone auf der Autobahn stehen oder wofür ist das Kleid gedacht?"
Beim letzten Satz konnte ich absolut nicht mehr inne halten und musste lachen. Die Blonde wurde krebsrot und verschwand in Ihrer Umkleide. Die Verkäuferin rannte von dannen und kam mit dem Geschäftsführer zurück. Das Resultat war, dass Pierre und ich gebeten wurden die Boutique zu verlassen und erst wieder zu kommen, wenn wir uns auch leisten könnten, was wir da anprobierten.
Schade. Das Kleid war echt schön gewesen.
Den Rest unseres Einkaufsbummels begnügten wir uns dann doch wieder mit H&M und New Yorker. Ist eh viel billiger. Und billiger heißt mehr Auswahl zum gleichen Preis.
Und kein Einkauf ohne Abstecher zum Buchhandel! Das ist Pflicht und Ritual. Ich brauche Lesestoff. Pierre macht mich zwar jedes Mal darauf aufmerksam, dass man in meinem Zimmer schon nirgends mehr treten könne vor lauter Büchertürmen, aber das ist mir egal. Wenigstens hatte Pierre es geschaft mich zu überzeugen nur ein einziges Buch mitzunehmen. Bis ich mich allerdings entschieden hatte welches, waren schon wieder einanderthalb Stunden vorbei.
Mit unseren Schnäppchen und meinem Buch bepackt kamen wir am Haus an in der sich unsere Wohnung befand. Die Wohnung liegt zwar im fünften Stock und es gibt keinen Aufzug, aber sie hat ein absolutes K.O. Kriterium, warum wir sie dennoch damals als unsere WG auserkohren hatten: eine Dachterrasse! Und auf diese wollte ich mich gleich mit meinem neuen Buch hinpflanzen. Doch als ich die Wohnungstür aufschloss hörte ich schon das Jammern. Es war eindeutig Eve.
"Eve?" rief ich in die Wohnung. Ich hörte wie in ein Taschentuch geschneuzt wurde und lokalisierte es aus dem Wohnzimmer. Pierre und ich stellten unsere Tüten ab und gingen zu Eve. Eve saß heulend und schluchzend vor dem Fernseher. Zuerst dachte ich, sie würde wegen dem Film heulen. Dann bermerkte ich aber, dass der Fernseher aus war.
Ich kämpfte mich durch die Taschentuchlawinen und Rotzfallen zu Eve durch. "Mensch Süße. Was ist denn los?"
"Warum? Warum nur?" schluchzte sie. "Warum sind Männer solche Schweine?"
Es war wieder soweit. Scheinbar war Eve wieder abserviert worden. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schaffte sie es nicht, Männer länger als ein paar Tage bei sich zu behalten. Entweder machte sie Schluss, oder sie wurde verlassen. In letzter Zeit war die Rate "Verlassen werden" erstaunlich gestiegen.
"Pierre! Notversorgung!" sagte ich und setzte mich neben Eve und nahm sie in die Arme. "Schon unterwegs!" meinte Pierre und kam mit einer Flasche Cinzano Asti und einer Packung Schokoladentrüffel zu uns. Nebenbei hatte er noch eine neue Packung Taschentücher mitgebracht und setzte sich auf die andere Seite von Eve. "Komm Schätzchen. Nimm erstmal einen Schluck!"
In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Haustür und Mike trat breit grinsend ein. Er war die ganze Nacht fort gewesen, keine Ahnung wo. "Mensch Leute ich hatte ein Erlebnis ..." bei diesen Worten heulte Eve noch lauter auf. Mikes Miene änderte sich in Besorgnis. "Hab ich was falsches gesagt?"
"Nein. Eve wurde abserviert." informierte ich.
"Die Sau! Wer war es?" Mike reagierte verständnissvoll und mitfühlend und entgegen einiger Männerklischees setzt er sich bei solchen Gelegenheiten immer zu uns und hört zu. Er erstaunt mich jedes Mal auf's neue. Man sollte doch meinen, dass so ein männlicher Adonis doch bestimmt andere Interessen hätte, als heulende Weiber tröstend die Hand auf das Knie zu legen und sich zusammen das Elend anzuhören.
Und wie wir da heute zusammen saßen, den Asti tranken, Schokolade mümmelten und Eve zwischen den Schluchzern zuhörten, wie ein Typ namens Rudolf sie abserviert hatte, dachte ich mir: wir sind schon ein echt komischer Haufen ...

Willkommen in meiner Welt!

Eure Hazel

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