Hallo Leute,
ich wusste genau, dass der heutige Tag kein besonders angenehmer Tag werden würde. Schon gar nicht, als mir meine Freundin und WG-Mitbewohnerin mit großen treudoofen Katzen-Kulleraugen ein "Bitteeeeee!" entgegensäuselte. Ihr älterer Bruder hatte sie auf seine Geburtstagsfeier eingeladen. Sie wollte aber partout nicht alleine dort hin gehen. Ihrer Ansicht nach würde sie sonst den absoluten Langeweile-Tod sterben. Ich hielt diese Einstellung für übertrieben.
Natürlich verlor ich auch noch das Schere-Stein-Papier-Spiel. Deshalb musste ich uns fahren. Also konnte ich nicht mit saufen. Eve, meine WG-Genossin, dagegen triumphierte. Sie konnte sich den Schrecken schön ballern, wie sie sagte. Als wir rund fünfzehn Kilometer gefahren waren, standen wir irgendwo in der Pampa in einer Einfamilienhaussiedlung vor einer großen roten Tür. An dieser Stelle überschlug ich kurz im Kopf, was ich alles über Eve's Bruder Bodo und von seinem aktuellen Leben wusste:
1. vor etwas mehr als zwei Jahren hatte er seine heutige Freundin kennen gelernt
2. er lebt und renoviert seitdem das baufällige Eigentumshaus seiner Freundin
3. nach etwa fünf Monaten Zusammenseins verkündete sie, sie sei von ihm schwanger
4. weitere drei Monate später stellte er ihr einen Heiratsantrag - sie lehnte ab (es wäre wohl noch zu früh)
5. nach insgesamt elf Monaten des Zusammenseins kommt seine kleine Tochter Lara zur Welt
Eve hatte schon mehr als einmal in unseren vier Wänden den Verdacht geäußert, dass es sich bei der Lebensgefährtin ihres Bruders um eine Abzockerin handeln musste. Ich hatte daraufhin immer wieder betont, dass es durchaus reale Liebe sein könnte. Insgeheim dachte ich aber genauso. Aber irgendwer musste doch den Glauben an die Liebe auf dem ersten Blick aufrecht erhalten, oder nicht?!
Wir standen also vor dieser roten Tür. Ich wisperte Eve noch zu, dass wir uns noch unbeschadet aus den Staub machen könnten. Einfach behaupten, dass wir stundenlang im Stau standen, eine Reifenpanne hatten oder so und deshalb nicht kommen konnten. Eve liebäugelte schon mit meinem Vorschlag, als hinter uns eine quietschige Mäusestimme mit den Worten "Da seid ihr ja endlich!" begrüßte. Es war Angela, Bodos Lebensgefährtin und Eve's Nicht-Schwägerin. Sie umarmte uns nacheinander. Dann öffnete sie die rote Tür und schrie in die Wohnung nach Bodo. In diesem Augenblick hörten wir ein kleines Kind schreien und Bodo fluchen. Bodo war es wohl eben erst gelungen, seine Tochter ruhig zu stellen. Nun war durch Angelas Geschrei alles wieder hinüber. Bodo kam aus der Küche mit dem kleinen Nervenzwerg im Arm, drückte Angela das Kind in die Hände und begrüßte uns herzlich. Dann führte er uns stolz durch "sein Reich" (es war ja eigentlich Angelas Haus, mit Bodos neuen superisolierten Fenster und Bodos neu superstylischen marmorierten Fliesen) und von dort aus in den Garten. Mit einem weiten Armschwenk zeigte er auf das Dach des Hauses.
"Schaut mal! Solarzellen! Ab morgen mache ich meinen Strom selbst und verkaufe diesen an die hiesige Gemeinde."
"Mensch das ist ja super!" quiekte Eve. Eve quiekte nur, wenn sie übertrieb. Dass ihr Bruder Solarzellen auf das Haus einer potentiellen Absahnerin setzte gefiel ihr gar nicht. Ihr Bruder hatte den Unterton bemerkt.
"Warte mal ab, Schwesterchen, bis du zehn Jahre älter bist und dein eigenes Geld verdienst und Kinder in die Welt setzt. Dann sind die Prioritäten ganz andere. Und dann wirst du auf mich zukommen und mich um Beratung bitten. Aber wir wollen jetzt nicht streiten. Ich freu mich echt, dass ihr hier seid."
Ich hatte mich die ganze Zeit dezent zurück gehalten und die Lage gechecked. Mit suchenden Blick fragte ich Bodo, wo denn die anderen Gäste wären. Er lachte und meinte wir seien die ersten. Also war Eve's und mein Masterplan, etwa fünfundvierzig Minuten später zu erscheinen und somit den Aufbaukram zu verpassen und direkt zum Buffet zu greifen missglückt.
"Aber wenn ihr schon mal hier seid, dann könnt ihr mir ja eben beim Aufbau helfen."
"Gerne doch!" quiekte Eve.
Zum Glück erschienen nur wenige Minuten später weitere Gäste. Leider niemanden den wir kannten. Eingeladen waren nur Angelas Familie und diverse Freunde und Bekannte, die aber irgendwie auch alle eher aus Angelas Ecke kamen. Von Bodos Verwandt- und Bekanntschaft waren nur noch seine engsten zwei Saufkumpels und unsereins dazu gekommen.
Zum Glück hatten Eve und ich einen Platz auf der einzig bequemen Holzbank erobert. Perfekter Weg zwischen dem Grill und dem Salatbuffet. Eve holte sich direkt einen großen Krug Bier, dem einzigen alkoholischen Getränk auf dem ganzen Fest. Dabei mochte sie gar kein Bier. Sie war eher die Cocktailtante. Als sie meinen Blick sah seufzte sie laut und wisperte mir zu "Ich bin soooo froh, dass du fährst. Ich muss mir direkt die Kante geben!" und schluckte das Bier in einem Ansatz herunter, nur um dann direkt wieder aufzustehen, neues Bier zu zapfen und die Prozedur zu wiederholen.
Es dauerte keine fünfzehn Minuten und ich verfluchte dieses verdammte Schere-Stein-Papier-Spiel. Und Eve, die bereits das zehnte Bier intus hatte und defintiv nicht mehr gescheit reden, geschweige denn sicher fahren konnte.
Während Eve sich also abschoss, heuchelte ich Interesse. Wir waren umgeben von etwa zehn Mann, versammelt um einen großen Gartentisch, bunt gemischt aus Personen die
1. entweder schwanger waren;
2. bereits Nervenzwerge besaßen, die um die Tische herum rannten;
3. ein Haus gebaut hatten;
4. als Großeltern ständig das schlafende Kind aufweckten und es somit zum schreien brachten
5. oder mit einem iPhone am Ohr geschäftig laut vor sich hin redeten und jeden an den ach so vertraulichen Gesprächen teilhaben ließen.
Da ich nicht eine dieser Bedingungen erfüllte war mein Redefluss und Ansehen entsprechend eingeschränkt. Besonders als eine Frau mich beim Thema Schwangerschaften ansah und zu mir meinte "Und? In welchem Monat sind Sie?" empfand ich eher das Bedürfnis jemanden umzubringen. Statt diesem Wunsch jedoch nach zu gehen wusste ich, dass ich eher die nächste Zeit wieder mein Fastenbuch raus suchen und teueres Geld in den Fitness-Club stecken würde. Irrational, aber Frau eben.
Eve hatte inzwischen angefangen einen Typen anzuschmachten der gut ihr Vater hätte sein können. Mit der passenden Mutter daneben, denn der Typ war verheiratet. Im Suff hatte sie schon längst unser Codewort für's Abhauen vergessen ("Hund Gassi") und ich fragte mich insgeheim, ob ich gegen unsere Abmachung verstoßen würde, wenn ich sie hier nun allein lassen und nach Hause fahren würde. Gerade als ich das Für und Wider abwägte, trat Bodo an mich heran und bat mich ins Haus zu gehen, damit er in Ruhe mit mir reden könne. Beim Aufstehen merkte ich, dass die scheiß Bank Splitter in meinem Arsch hinterlassen hatte. Drinnen fragte Bodo mich ganz direkt: "Hast du zu Angela gesagt, sie sei fett?"
Ich war wie vor dem Kopf gestoßen. Erstens hatte ich so etwas nie behauptet und zweitens wer kam auf die Idee ihm solch eine Lügengeschichte aufzutischen? Ok, Angela hatte zugenommen. Klar sie war schwanger. Und die Tatsache, dass sie mit Schwangerschaftstreifen übersääten Bauch im viel zu kurzen Tanktop ohne BH mit hängenden Brüsten rumlief sorgte nicht gerade für erotische Gedankenspielchen in meinem versauten Kopf. Aber das waren Dinge, die erst NACH der Feier in der WG bei einer Flasche Sekt mit Schokolade zur Sprache kamen.
Wer also würde so einen Mist behaupten? Und da fiel mir nur die Frau ein, die meine Schwangerschaftsstatus wissen wollte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr war ich überzeugt davon, dass sie die Übeltäterin war.
Doch meine Beteuerung, dass ich nichts dergleichen gesagt hatte stießen irgendwie auf taube Ohren.
Bodo sah mich böse an. "Weißt du es hätte echt ein toller Geburtstag werden können. Aber du und meine besoffene Schwester ihr versaut mir gerade alles. Ich möchte, dass ihr geht."
Ich fragte ihn, ob er nicht etwas über reagieren würde. Doch er ließ sich nicht beirren. Dann machte er mir zum Vorwurf, dass ich schließlich dem Jungen ne Cola gegeben hätte. Und das trotz absolutem Verbot für das Kind.
An dieser Stelle war mir eines absolut klar: es gibt Welten, die passen einfach nicht zusammen. Und die Welt der Studenten passt scheinbar nicht zum häuslichen Familientrubel.
Ich schnappte mir Eve, die laut protestierend schon wieder am Zapfhahn hing, und verfrachete sie ins Auto. Bevor ich einstieg sah ich noch einmal zurück. Bodo blickte auf den Boden, Angela stand neben ihm und hielt seinen Arm fest. Ihr Blick und ihren Mund umspielte ein seltsames Lächeln. Und da wurde mir klar: Angela hatte das Gerücht selbst gestreut. Scheiß auf den "Liebe auf den ersten Blick" Kram. Die da war der Teufel mit Hängebrüsten bis zum Südpol. Kopfschüttelnd stieg ich ins Auto und fuhr los.
Eve habe ich ins Bett verfrachtet. Sie hatte mir noch die ganzen fünfzehn Kilometer die Ohren vollgeheult, wie verliebt sie doch wäre und das er nur seine Frau verlassen müsste, um mit ihr glücklich zu werden. Dann hatte sie ihren Lieblingsteddy aus Kindertagen genommen und in Löffelchenstellung angekuschelt und war eingeschlafen.
Mit dem Sektglas in der Hand und der Schokolade am Mundwinkel beende ich damit meinen heutigen Bericht und verbleibe in leichter Verwirrtheit,
eure Hazel
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